Die Schweizer Skischule Saas-Fee bietet Skiunterricht für Menschen mit Behinderung an. Unsere ausgebildete und erfahrene Skilehrerin Jolanda lehrt und begleitet Personen mit verschiedenen geistigen und körperlichen Behinderungen. Lesen Sie unten ihren Erfahrungsbericht.
Was ist das?
… Vor allem spannend und herzhaft bereichernd!
… Oder anders gesagt: Schneesport mit Behinderung…? Ja klar!
Es ist mir ein Bedürfnis, dieses interessante Gebiet einem breiteren Publikum vorzustellen – und auch, um Betroffenen Überwindungshürden für den Start in ein Schneesportabenteuer abzubauen.
Im Jahr 2005 habe ich zum 1. Mal einen blinden Gast im Skifahren unterrichtet; kurze Zeit später hatte ich auch zum 1.Mal in Saas-Fee einen Trisomie 21-Schüler. Und seither bin ich fasziniert, wie meine Schüler grosse Erfolge erzielen und dankbar, mit ihnen diese Momente zu teilen!
Lesen Sie hier einen Erfahrungsbericht (in Englisch) von Hannah (Sehbehinderung).
Alexandros (Hemiparese rechts)
Mit einem motivierten Jungen (mit etwas Respekt vor dem Kommenden) durfte ich Ende Dezember erstmals auf die Pisten – um Skifahren zu lernen. Sein grosses Ziel: selbständig zu fahren – im Januar ist ein Skilager angesagt. Wir beginnen im Kids-Park, mit 1 Meter langen Ski, ohne Stöcke - probieren verschiedene Hilfsmittel aus. Wir zielen direkt auf den Parallelschwung, keinen Pflug. Nach ein paar Falllinienfahrten + Positionssuche korrigiere ich Alex taktil-ich fahre stets rückwärts. Wir suchen eine passende Stellung der Hüfte, um eine Richtungsänderung auszuführen. Wann muss ich wie viel mit der Hüfte wohin steuern, resp. drehen? Wie kann ich mit der Schulter/Oberarm helfen, in die neue Schwungrichtung zu kommen? Wie breit soll man stehen, damit ein geeigneter Kantenwinkel zum Drehen und Bremsen eingesetzt werden kann? Wann ist eine Kurve «fertig»? Was ist unser bestes Fahrtempo? Schritt für Schritt und Tag für Tag kommen wir weiter.Ich lasse Alex immer wie mehr alleine fahren. Helfe, wenn nötig, über Druck am Aussenarm und an der Hüfte. Fragen, um aufstehen zu können: wie muss ich mich drehen, wenn ich auf der «schwächeren» Seite hinfalle? Wo kommen die Ski hin? Was mache ich, wenn es gar nicht geht? Wir finden eine Art Parallelpflug-Position, um vor dem Drehkreuz am Lift anhalten zu können. Tellerliftfahren geht auch gut.
Das Skilager kann kommen – Das war super Alex! Weiter so!
Lilly (Trisomie 21)
...aus Deutschland habe ich im Winter 2012 kennengelernt. Sie konnte bereits ein wenig Skifahren. Die Spannung für mich war gross, wo ich Lilly abholen konnte und wie der Weg weitergeht. Es braucht bei jedem Spezialunterricht einige Momente, um Mensch und Können abzuschätzen und einzustufen.
Bei Lilly geht das Fahren gar nicht schlecht – bei steter Ueberwachung. Ich musste ihr auch zeigen, will man zu schnell zu viel, dass dies nicht immer der richtige Weg ist…und man so auf die Nase fällt (es bremste bei Lilly 1x erst bei ihrer Mamma…per Holzbank – oder: wir fielen auch mal beim Bügellift raus, da Lilly unbedingt umgehend den Ankerlift ausprobieren wollte…) – aber das Lachen hat sie nicht verloren.
Die Freude wurde natürlich immer grösser, je grösser die Fortschritte waren! Lilly war bei mir immer „die Beste“ – hat im absolvierten Rennen mit den anderen auch gewonnen (in unserer Gruppe…) – Das Schönste ist doch, die Kinder so motivieren und erfreuen zu können, dass sie im kommenden Winter wiederkommen…du kannst das Lilly, du bist die beste! Auf bald…
Danique (Seh-und Gleichgewichtsstörungen)
...aus den Niederlanden kommt mit der Familie bereits viele Jahre nach Saas-Fee – aber es war ihr gesundheitshalber noch nie möglich, das Skifahren zu erlernen. Ich durfte mit ihr jeweils 1 Std. üben – energiemässig im Moment das Maximum.
Im Dorf sind wir rasch Lift gefahren (zu zweit mit 1 Tellerli), und haben viele diverse Hilfsmittel ausprobiert. Der Ring sowie das spezifische Hinschauen von einer zur anderen Seite für die Kurve haben gut geholfen. Die Sicherheit und das nicht zu Schnelle sind für Danique sehr wichtig.
Ihr taktil zu zeigen, wann und wie der Ski bremst, ebenfalls sehr hilfreich. Diese ersten Erfahrungen haben ihr gezeigt, dass noch viel möglich ist. Wenn mit den besseren Organfunktionen noch mehr Energie und Kraft regeneriert werden kann, sehe ich schnelle Fortschritte. Danique hat viel Freude gehabt! Ich auch – hoffe, wir sehen uns wieder im Schnee!
Jan-Lukas (Cerebrale Bewegungsstörung)
...aus dem Kanton Bern durfte ich 2012 in Saas-Grund das 1.Mal im Bob begrüssen. Er hatte bereits Erfahrungen im Sörenberg gesammelt – wollte diese nun in den Ferien auf Hohsaas ausprobieren und festigen. Die Eltern haben mit Jan-Lukas auch das normale Skifahren ausprobiert – dieses Modell war jedoch zu aufwendig für alle.
Wir haben viel per Metaphern erklärt und ausprobiert. Speziell die Kurven und die Tempokontrolle trainierten wir in verschiedenen Variationen.Jan-Lukas‘ Ziel war, selbständig zu fahren(mit Stabis) – dies hat am Ende auf der blauen Piste auch ganz gut funktioniert.
Geduld braucht es von beiden Seiten – immer und immer wieder versuchen und wiederholen. Und natürlich den Spass nicht vergessen: Jan-Lukas liebt Wellen-Mulden zu fahren! Mein Ziel ist es auch, den Schneesportlern den Ansporn zu geben, weiterzugehen und nicht gleich auzugeben! Jan-Lukas hat viel Motivation auf seinem Monoski – weiter so; gerne auf ein ander Mal?
Kevin (hyperaktiv)
...aus der Zentralschweiz ist lustiger und meist gutgelaunter junger Mann. Ich durfte ihn von einer anderen Skilehrerin „übernehmen“. Skifahren und eine grosse Portion Energie zu „verwalten“, ist für Schüler und Lehrer eine Herausforderung. Wir haben diverse Sachen ausprobiert und sind natürlich viel gefahren. Mit Glocken oder Rhythmusgeräte für die Hände ging das Fahren und die Energiekontrolle doch recht gut.
Auch öfters mal was Neues ausprobieren, wie ein Sprung, zu zweit mit Seil verbunden, macht Spass – auch wenn’s mal ein Sturz gibt. Erklärungen und Richtlinien müssen jedoch auch sein! Ein guter Mittelweg zu finden, setzt ein sehr starkes „Spüren“ des Menschen voraus.
Kevin fragt viel – er ist an allem Möglichen interessiert; auch hier soll man korrekt „mitgehen“ – mit direkten Rückfragen bezüglich Technischem kann man auch Einiges bewirken. An Ausgefallenem oder Speziellem hat Kevin viel Freude (z.B. an Fasnacht beide verkleidet). Auf ein Energie-Wiedersehen in Saas-Fee…
Britta (quasi Tetraplegie)
...ist eine intelligente und wunderbare Frau! Sie und Ihre Familie kommen schon etliche Jahre nach Saas-Fee. Ihr Traum war seit einigen Jahren auf Mittelallalin auf dem Schnee zu fahren – aber wie? Durch Anfrage auf dem Skischulbüro ist der „Stein ins Rollen gekommen“…mit einem Dualbob ausgerüstet angereist, durfte ich mit ihr (vom Papa begleitet) im Dorf die ersten Fahrversuche erleben – wow, was für ein Gefühl! Wir haben die Momente extrem genossen – klar, wollten wir mehr. Brittas Traum kam näher;
Ende Woche sind wir in der Mittelstation Morenia gefahren – unglaublich, wie Britta das Methodische umsetzen kann! Dieses Gefühl von Gleiten, Kippen, Kanten muss unglaublich sein (nein, wir können es nicht nachvollziehen – nur erahnen – wir haben mehr Muskeln zur Verfügung!). Im Winter danach konnte Britta ihr Traum vom Mittelallalin verwirklichen … noch mehr; am Ende haben wir sogar eine ganze Abfahrt von zuoberst auf 3500m bis ins Dorf (1800m) gefahren!!
Lukas (Trisomie 21)
...aus Deutschland kenne ich seit gut 5 Jahren. Ein Energiebündel, der auch gerne plaudert. Ist stets motiviert für Neues – sowieso für alles Wettkampfmässige. Bei ihm hat der Ring, resp. Lenkrad den Knopf gelöst – von da her gings stetig aufwärts – von Pflug Richtung Parallelschwung.
Das gab noch mehr Freude! Der Stil ist zweitrangig – die technischen Grundsätze müssen stimmen – dann funktioniert’s. Und ab geht’s mit viel fahren. Wir fahren heute im Gebiet oben, auch rote Pisten. Am Riesenslalom der Gruppen teilnehmen, dies ist das Grösste! Und die Medaille mit Abschlussfoto darf natürlich nicht fehlen…!
Auch wir haben uns „gefunden“ – sind ein super Team…finde ich!
Daniela (vollblind)
...aus dem Kanton Bern ist eine aufgestellte junge Dame und grossem Willen. Ich durfte sie vor einigen Jahren im Blindenskilager zum ersten Mal eine Woche begleiten. Seither bin ich mit ihr an den jeweiligen Vorbereitungswochenenden gefahren (sie war „Versuchskaninchen“ für die anderen Leiter). Daniela geht regelmässig Skifahren.
Mit ihr kann man auch an Details wie Haltung arbeiten. Im Blindenskilager haben wir mit Vertrauen und technischen Uebungen auch eine schwarze Piste gefahren – welche sich Daniela anfangs Woche nicht zugetraut hat! Dass das Vertrauen zwischen dem Führer und Fahrer erstes Gebot ist, ist offensichtlich. Aber auch die spezifischen Erklärungen, auch was Pisten-, Schnee-und Wetterbeschaffenheit betrifft, ist sehr wichtig. Der Wille, etwas zu versuchen, auch mit einer zusätzlichen Erschwertheit, finde ich fantastisch.
Daniela, mit Ihrer Lebensfreude, ist für mich ein Vorbild – immer vorwärts zu schauen, auch wenn’s nicht immer so einfach geht; und zeigt mir immer wieder, dass wir auch unsere anderen Sinne brauchen und fördern sollten!
Nadia (Sprach-Koordinations-Behinderung)
...aus dem Kanton Zürich darf ich seit den Anfängen begleiten. In den ersten Jahren war Dorfliftskifahren angesagt; für Schülerin und Lehrerin mit viel Adrenalinschüben verbunden…die Skis auf dem Schnee einfach laufen lassen – ist spannender als Bremsen! Als Team haben wir dann Schritt für Schritt erlernt, und Nadia hat sich „hochgeschafft“ (mit den Jahren ist auch mehr Kraft dazugekommen) – im wortwörtlichen Sinn; wir fahren heute im ganzen Skigebiet, auf allen Pisten! Nadia fährt nicht so oft Spur, dafür Synchron – die Energie in Ihren Armen mit Stockwirbeln haben wir auch in den Griff bekommen. Für mich ist klar: Nadia liebt das Skifahren immer noch sehr; sie zeigt es mir mit Ihrem Lachen, mit Ihrer Energie – es gibt auch Momente, wo ich schauen muss, dass sie mir nicht abhuscht. Mit den Jahren verstehe ich Nadia besser – wenn wir heute unterwegs sind, ist es fast wie die grosse und „kleine“ Schwester zusammen skifahren gehen…
Martin (Trisomie 21)
...aus Hamburg nimmt Skifahren sehr ernst – ist sein grosses Hobby – freut sich das ganze Jahr darauf! Seine „Karriere“ ist schön gleichmässig aufwärts gegangen. Alles gut erklären, was warum nötig ist – und heute fahren wir alle roten Pisten (eine leider verstorbene Skilehrerkollegin hat mit Martin sehr geduldig die Skifahrbasis gelegt). Martin nimmt viel mehr Details wahr, als man meint – er ist nicht der Gesprächige, aber Gesten und Bewegungen zeigen seinen Gemütszustand. Ich bin sehr glücklich, dass wir den „Draht“ zueinander gefunden haben. Nach den super Skitagen darf natürlich die Medaille nicht fehlen! Seinen Geburtstag dürfen wir auch jährlich zusammen bei Café und Kuchen feiern!
Martin geht beim Skifahren auf – er ist gleich wie alle anderen – und das Gleiten auf den Latten, inmitten der Bergwelt, ist eine Therapie sondergleichen !
Dies, liebe Gäste, sind einige Geschichten aus meinen Erfahrungen im Skiunterricht mit Menschen mit Behinderung. Viele sind für mich viel mehr als „nur“ Schüler und Schülerinnen – eine spezielle Bindung entsteht – welche ich sehr schätze und alles daran gebe, diese zu pflegen. Eine grosse Hochachtung, was sie alles geleistet und erlernt haben – und immer noch leisten, und mit was für einer Motivation, Hingabe und Freude diese Lieben Neues erreichen!
Herzlichst grüsst JOLANDA